Paint, 2017
Projekt Meinersen:
Für seinen Aufenthalt als Stipendiat im Künstlerhaus Meinersen hat Philipp Mager sich ein besonderes Arbeitsprojekt vorgenommen. Er hat sich entschlossen eine Serie von zehn Bildern zu malen, alle im gleichen Großformat von 160 x 180 cm und dieser Serie den Titel “paint” zu geben. In sich sind die zehn Bilder in drei Themenkomplexe unterteilt, die sich unter die Begriffe: Auto, Arbeit, Aggression gruppieren lassen. Zum Thema Auto sind drei Bilder entstanden, ebenso zum Thema Arbeit und vier Bilder zum Thema Aggression. Motive aus diesen drei Themenkomplexen hat Philipp Mager auch schon in früheren Werken verarbeitet. Er umkreist malerisch seine Bildinhalte immer wieder aufs Neue und nimmt Versatzstücke auf, die Puzzlesteinen ähnlich oder wie variable Steine aus einem Baukasten vielseitige Verwendung finden können. Alle drei übergeordneten Themen: Auto, Arbeit, Aggression verwendet der Künstler als Stellvertreter für Zeitphänomene unserer von Technik und Entfremdung dominierten Welt. Immer befasst er sich in seinen Bildern mit den grundsätzlichen Fragen des menschlichen Lebens. Wie ein Widerspruch in sich wirkt es, dass Philipp Magers Bilder aktuell-gegenwärtig und zugleich wie aus der Zeit gefallen wirken. Ort- und Zeitbezüge lassen sich nur vage bestimmen. Sie werden eher ausgelöst durch Assoziationen als durch Wissen und rufen Erinnerungen wach an Gesehenes oder Erlebtes, das aus anderen Zusammenhängen bekannt erscheint. Die in ihnen liegende eigenartige Atmosphäre völliger Losgelöstheit birgt in sich eine intuitiv unmittelbar erfassbare, allgemeingültige Grundsätzlichkeit, eine Grundsätzlichkeit, die uns alle angeht.
Die gewählten Themen beziehen sich im weitesten Sinne auf die Fragen nach Zugehörigkeit, Verwurzelung, auf Vergeblichkeit und Leere, auf den Sinn alltäglicher Abstumpfung und Gefühlskälte. Jedes Bildthema von Philipp Mager könnte gelesen werden als eine Metapher, die bildliche Übertragung eines dahinter liegenden Sinns. Betrachtet man unter diesem Gesichtspunkt das Thema Auto, so lässt sich das Fahrzeug als Fortbewegungsmittel verstehen als Inbegriff unserer technologisierten, fortschrittsorientierten Gesellschaft. Es entspricht den Forderungen nach Mobilität, nach Beschleunigung und Beweglichkeit und birgt in sich das genaue Gegenteil: Rast- und Ruhelosigkeit und je mehr das Auto zum beweglichen Haus, einem Lebensort wird, steht es für Instabilität und Entwurzelung. In Philipp Magers Bildern kann Auto gelesen werden als Ort der Entfremdung und Vereinzelung. Als das, was bleibt, wenn Bezüge sich aufgelöst haben und keine Zugehörigkeit zu einem Identität und Geborgenheit schaffenden Ort – dem Haus – und der darin lebenden Gemeinschaft von Menschen mehr gegeben ist.
Auch das Thema Arbeit, stellt Philipp Mager in seinen Bildern auf eine Weise dar, die gekennzeichnet ist von Sinnlosigkeit bis hin zu Absurdität. Die Tätigkeiten der Menschen scheinen völlig zweckfrei zu sein. Egal, was die handelnden Personen in seinen Bildern tun, ob sie Kabel aufrollen, Kästen stapeln, am Rad drehen oder einfach nur ins Leere starren, der Sinn einer Handlung bleibt unklar. Alles Tun ist überschattet von latenter Vergeblichkeit. Sinn und Zweck bleiben verborgen, nützlich oder mit einem bestimmten Ziel verbunden, sind die menschlichen Tätigkeiten in diesen Bildern nicht. Mit der in ihnen zum Ausdruck kommenden eher pessimistisch gestimmten und von tiefen Zweifeln durchzogenen geistigen Haltung, reihen sich die Bilder ein in eine vornehmlich aus der Literatur bekannte Kunstrichtung, die in der Mitte des 20. Jahrhunderts ihren Anfang nahm, in den Werken des absurden Theaters oder den Themen und Fragen der französischen Existenzialisten. Die Absurdität, das Gefühl von Vergeblichkeit, ist eine Grundempfindung des in seiner Welt entfremdeten modernen Menschen. Mit den Möglichkeiten der Malerei schafft Philipp Mager eine Transformation ins Bild von der Suche nach Sinn und der Sehnsucht nach Verortung in einer zunehmend auseinanderfallenden Welt.
Als dritte Werkgruppe der in Meinersen entstandenen Serie bearbeitet Philipp Mager mit intensiver malerischer Wucht das Thema Aggression. Der Grausamkeit und Brutalität der Motive stellt er einen überbordenden Malduktus entgegen. Gefühlskälte und Gleichgültigkeit werden schonungslos in eine Malerei übertragen, die nicht sezierend, analytisch-kühl, sondern heftig-pastos, dicht und schrundig, schroff und schwer auf der Leinwand steht. Diese materielle Wucht der Farbe stellt sich der Grausamkeit der handelnden Personen entgegen. Sie wühlt den Betrachter auf. Die Farbe, ihre Materialität wird zum Werkzeug des Künstlers seine ureigene Sprache um Unsagbares auszudrücken. Philipp Mager hat sich mit seinem Meinersen Projekt eine komplexe Aufgabe gestellt. Er setzt sich mit den Mittel der Malerei auseinander mit “dem gefährlichsten Raubtier, das die Erde kennt”, mit dem Menschen. Der Mensch in seiner Beziehungslosigkeit und Entfremdung, mit seinen Perversionen und psychischen Untiefen. Es ist das Vorhalten eines Spiegels, es ist das Aufrütteln aus Apathie und Abgestumpftheit, es ist das, was Kunst in jeder Form, zu jeder Zeit immer wieder zu leisten in der Lage ist: Uns in unserem Tiefsten zu berühren, aufzuwühlen und zum Denken anzuregen.
Christiane Grathwohl-Scheffel, Museum für Neue Kunst, Freiburg
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